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Gleis X

06. März 1998Von: tin.Views: 7590

Theaterfestival Blickfelder

Gestrandet auf der Kulturinsel

Als einziges produzierendes Haus unter den sechs Veranstaltern hat das Junge Theater Zürich das Theaterfestival Blickfelder mit einer Premiere eröffnet.

Das Signal, das Theaterleiter Marcelo Diaz damit setzen wollte, erwies sich allerdings als ein wenig saft- und kraftlos. Und ebenso zeigte sich im Theaterhaus Gessnerallee das Stück «Gleis X» des Hip-Hop-Theaters Basel. Gerda Wurzenberger und Tina Thurner berichten.

Als «Agentur zur Herbeiführung unvorhergesehener Zwischenfälle» hat Josef Estermann das Zürcher Kinder- und Jugendtheaterfestival in seiner Eröffnungsansprache bezeichnet und den Blickfeldern sogleich für ihre künftige Neugestaltung seine Unterstützung zugesagt. Das sind nicht nur tröstliche, sondern auch ungewohnt verbindliche Worte für eine Veranstaltung, die von der politischen Öffentlichkeit bisher wenig zur Kenntnis genommen wurde.

Junges Theater: Gestörte Inselträume

Die Zusammenarbeit mit Regisseur Horst Hawemann steht für das Junge Theater Zürich offenbar unter keinem besonders guten Stern. Der renommierte Theatermann, einst einer der Führenden des Kinder- und Jugendtheaters der DDR, hätte schon im vergangenen Jahr ein Stück für die Zürcher Bühne verfassen und inszenieren sollen. Damals aber konnte man zueinander nicht finden. Und nun der zweite Anlauf: «Die heimliche Insel. Ein Narrennest» - eine Art Groteske über das Zueinanderfinden von Individuen. Und wieder scheint man sich ein wenig fremd geblieben zu sein. Von zwei starken Impulsen ist die Aufführung geprägt: von der aus allen Nähten platzenden Spielfreude des Ensembles sowie von der in stoischer Selbstverliebtheit agierenden Sprache der Vorlage. Erzählt wird die Geschichte eines gewissen Dienstag, der auf einer einsamen Insel sein eigenes Universum aus Selbstgesprächen, Glücksgefühlen und Ärgerlichkeiten pflegt. Neue Empfindungen kommen auf ihn zu, als eines Tages vier Fremde seine Insel betreten - darunter der Herumkommandierer Kennich. Seinen Herrschaftsansprüchen haben alle anderen nichts entgegenzusetzen - bis sie sich zur Ideengemeinschaft zusammentun.

Im Kontrast zur von Bildern überbordenden Sprache seines Stücks lässt Horst Hawemann die Figuren nicht nur durch eine fast leere Bühne wandeln - er lässt sie die von rhythmischen und semantischen Fallstricken durchzogenen Sätze auch gleich ins Leere sprechen. Kaum einmal treffen sich die Blicke der fünf Schauspielerinnen und Schauspieler, die Kommunikation läuft auf einer Meta-Ebene ab, welche Gefühle und Aktionen zu reinen Behauptungen reduziert. Wie Schlafwandler stolpern die Figuren in immergleichen Bewegungen nebeneinander her. Das freundliche Lächeln bleibt ebenso Pose wie die Drohgebärde - und zielt damit am Nerv des Publikums vorbei.

Hip-Hop-Theater: Ausgefahrene Gleise

Sieht das junge Publikum die Welt wirklich so schwarzweiss, wie sie ihm das Hip-Hop-Theater Basel vorgaukelt? Hätte es zur Eröffnung eines extra für die Jugend konzipierten Theaterfestivals nicht mehr verdient als ernsthafteres Schülertheater mit gutem Sound, mässigem Tanz, einer Einführung in die Basler Jugendsprache und einer Zeigefingerwarnung vor harten Drogen? Das Hip-Hop-Musical «Gleis X», geschrieben und produziert vom in der Szene bekannten Rapper Skelt!, empfindet zwar das Leben der Jugendlichen authentisch nach; so authentisch aber, dass das Ganze auf der Bühne doch ziemlich platt daherkommt. Das Publikum nimmt Anteil an Rivalität, aber auch Solidarität unter den Jungen, an handgreiflichen Profilierungs- wie wortstarken Befreiungskämpfen aus staatlicher und mütterlicher Bevormundung. Kurz und exemplarisch: an Freud und Leid der Basler Hip-Hopper. Man erfährt, dass Hip Hop aus Amerika kommt und sich als Kunst-, Musik- und Lebensform versteht, dass Graffiti auf Wände applizierte Schriftzüge aus Filz- und Sprühfarben und Ausdruck einer künstlerischen Schaffenswut sind und dass frauenfeindliche Ausdrücke von den Betroffenen sehr wohl kritisch hinterfragt werden. - Mehr als auf ein künstlerisches Verhalten gegenüber dem Gegenstand setzt auch der Regisseur Tom Ryser auf die unmittelbare Abbildung der Realität der Jugendlichen und vermischt diese mit einigen ebenso unmittelbaren Ratschlägen vom Jugendamt. Zum Schluss haben alle Zuschauenden ihre Lektion gelernt.

Indes: Man spürt, dass der Autor und Produzent von «Gleis X» eigentlich aus der Musikszene kommt. So sind es denn der Rap und seine jugendlichen Interpreten, die dem Stück doch etwas von dem verleihen, was es zu sein verspricht: laut, frech und powervoll.

«Die heimliche Insel»: Zürich, Junges Theater, bis 11. März.

«Gleis X»: Zürich, Theaterhaus Gessnerallee, bis 7. März.

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