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Gleis X

06. März 1998Von: Simone MeierViews: 7260

FCB, Bullenstress und Kampftänze - ganz wie im richtigen Leben

Blickfelder zum Zweiten: Das Basler Hip-Hop-Projekt «Gleis X» begeistert das junge Zürcher Publikum in der Gessnerallee.

Vorletzte Nacht in der Gessnerallee geschah das schier Unfassbare: «Gleis X», das Basler Hip-Hop-Theater, zog tatsächlich Jugendliche an, und zwar so viele, dass die Gessnerallee ausverkauft war. Unter den Kritikern gab es allerdings solche, die noch in der Pause mit einem «Mein Gott, wie furchtbar!» verschwanden, die Jungen hingegen blieben, gaben Szenenapplaus und Zwischenrufe und alles, was man sich von einem Theaterpublikum wünscht.

Obwohl das Stück, ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Basler Hip-Hop-Künstler und des Theaters Basel, eine selbstgespiegelte Basler Szenengeschichte ist. Eine aus der «Basel's Hall of Fame» sogar, meinten jedenfalls Skelt! und Black Tiger, den man mal für eine «sexiest man alive»-Wahl vorschlagen könnte. Doch das Zürcher Publikum liebte die FCB-Witze und die Gäste mit dem süssen Akzent, die alle sich selbst spielten und keineswegs Profischauspieler waren.

Pavianhodensäcke statt Graffiti

Das Stück (Autor: Skelt!, Regie: Tom Ryser) wirkte wie - pardon - etwas pathetisch geratenes Schülertheater: Unausgefüllter Second Generation Bub macht illegale Graffiti am Bahndamm, wird verhaftet, erlebt Loyalitätskonflikte in der Gang, bleibt trotz Bullenstress dem Hip-Hop treu, wird Jahre später von einer Galeristin entdeckt, seine ehemaligen Homeboy-Kumpels sind inzwischen verbürgerlicht oder haben die Subkultur gewechselt, füllen jetzt Pavianhodensäcke mit Vinyl und tragen silbrige Raver-Jacken.

Aber: Wir sehen Profi-Hip-Hopper, die ihre Gosse, ihre Familienprobleme und ihren Polizeiposten aus dem richtigen Leben kennen, die ihre Performance mit Herzblut und Aura darbieten und vermitteln, was sich leider nur mit einem sehr hässlichen Wort benennen lässt: Authentizität. Und die Basler verstehen «Gleis X» nicht nur als eine Inszenierung von Hip-Hop, sondern als Teil ihrer Kultur selbst: «Jede Aufführung ist ein Unikat - wie beim Freestyle», sagt Skelt!.

Man fühlte die gleiche Ergriffenheit, die einen schon letzte Saison am Theater Basel gepackt hatte, als Black Tiger und Tarek Abu Hageb (Hauptdarsteller in «Gleis X») in «Vinny» von Klaus Pohl mitmachten: ein etwas verstiegen-verschraubtes Stück, über eine verschissene Mädchenjugend in der bösen Grossstadt, garniert mit «echten» Hip-Hop-Einsätzen. Als würde eine Soap-Opera plötzlich mit Reality TV durchsetzt. Kleine Schockmomente, weil die Kunst und das richtige Leben doch nicht so weit voneinander entfernt sind, wie man sich dies oft wünscht.

Und dann traten in der Gessnerallee zwei «Crews», die vorher so genau mit den Basler Gegebenheiten gearbeitet hatten, dass man als Exil-Baslerin richtig in den Mutterschoss der Stadt zurückschlüpfte, zum «Battle» an: Vom Theaterpublikum angefeuert, kampftanzten sie gegeneinander, man glaubte sich plötzlich mitten in der «West Side Story», als die Sharks gegen die Jets angingen, und hatte etwas Angst, dass einer tatsächlich ohnmächtig wurde oder ein echtes Messer zücken könnte.

«Gleis X» im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee läuft noch heute Freitag und morgen Samstag um 20.30 Uhr.

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