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Outlander

31. März 2000Von: Bettina SchulteViews: 8165

Tanz mir den Kleist

«Outlander» im Foyer des Basler Theaters

Von Heinrich von Kleist ist überliefert, dass er beim Vorlesen seiner Tragödie «Die Familie Schroffenstein» ins Lachen geriet, bis ihm die Tränen kamen. Wir wissen nicht, was den ansonsten eher zur Schwermut neigenden Dicher so erheitert hat.

Kleist scheint jedenfalls jedenfalls der erste gewesen zu sein, der das komische Potential seines dramatischen Erstlings um zwei blutsverwandte, durch einen fatalen Erbvertrag verfeindete Familien erkannt hat. Auch in Basel, wo die freie Gruppe Gendertainment im Foyer des Theaters ihre Sicht auf das Stück erstmals präsentierte, gab es gelegentlich Grund zum Lachen.

Nicht dass «Outlander» - so haben der Regisseur Tom Ryser, die Dramaturgin Eva Watson und der musikalische Leiter «Skelt!» ihr «Fremdgehen mit Kleist» benannt - parodistische Absichten hegte. Die von Gabriele Kortmann geschlechtsunspezifisch in Folklore-Fantasy-Kostüme gesteckte Multi-Kulti-Truppe um das Trio nimmt den Krimiähnlichen Plot, der in einen tragisch-banalen Doppelmord mündet («Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen»), durchaus ernst. Sie setzt ihn nur mit ihren Mitteln um - und so geraten die Häuser Rossitz und Warwand zwischen Rap, Break Dance und Ethnopop in einen Rhythmus, bei dem jeder mit muss. Tanz mir den Kleist: indem sie den «Schroffensteinern» choreographisch (Bea Nichele Wiggli) zu Leibe rücken, haben Gendertainment zumindest eins begriffen: Kleist inszeniert den Körper, nicht die Seele, von der sich für ihn nichts sagen lässt.

Deshalb wirken vor allem die Szenen der Konfrontation, des Krieges zwischen den Stämmen, die sich gegenseitig die Äste absägen, als Ballett der Gewalt überaus schlüssig. Hier tun sich konventionelle Regieansätze in der Regel schwer.

Wie sich das Netz der Bedrohung um den Vermittler Jeronimo (sehr engagiert: Sanja Ristic) im rhythmischen Stampfen der Rupert-Leute immer enger zusammenzieht (und es sind die von Sylvester auch dabei, weil es in diesem Streit keine Guten gibt und keine Bösen): Da wird die Macht des Kollektivs physisch bedrängbar spürbar. Körpertheater pur in seiner artistischen Variante ist geboten, wenn Spieler an (Bungee-)Seilen über die weisse transparente Wand schwingen, die den seitlich von Gerüsten begrenzten Quader der Bühne (Bea und Fabian Nichele Wiggli) nach hinten abschliesst.

Und die Sprache, Kleists kataraktisch (Anm. des Webmasters: Katarakt gr.-lat., Stromschnelle, Wasserfall) gestauter Redefluss? Man kann, wie Urs Baurs Johann zeigt, einen Rap draus machen. Man kann auch noch anders mit ihr spielen, wenn die Schauspieler, alle Ausländer der zweiten oder dritten Generation, jäh in ihre Muttersprachen fallen - besonders sinnfällig, als Ottokar und Agnes, diese Nachkommen von Romeo und Julia, ihrer Liebe gewahr werden und die Missverständnisse zeugende Sprache der Eltern hinter sich lassen. Man erstaunt, wie mühelos diese Inszenierung immer wieder zu Kleists «Originaltext» zurückfindet. Es liegt wohl daran, dass sie ihn eher vom Rhythmus als von der Bedeutsamkeit begreift.

Da nimmt es andererseits nicht wunder, dass sich der Grund des Dramas eher verschliesst und die Handlung nur mühsam nachzuvollziehen ist. Die Wurzel allen Übels liegt ja gerade nicht in der Bestialität des Menschen, was die Inszenierung mit ihren leitmotivisch eingesetzten drei Raubkatzen zumindest suggeriert. Sondern in der juristischen Konstruktion des Erbvertrags, der Kleist in die Nähe Rousseaus rückt. Ihr besonderes Augenmerk legt die Inszenierung dagegen auf das Spiel mit den genealogischen und den Geschlechtsdifferenzen. Sie durchkreuzt sie und hebt sie manchmal auf. Auch wenn das - wie der Name sagt - Programm von Gendertainment ist: Mit dem Kleidertausch der Geliebten gibt Kleists Stück auch dafür etwas her. Es ist schlicht klug gewählt. Was in Basel auf eine mitreissend lebendige Art geschieht, ist tatsächlich ein Fremdgehen mit Kleist, nicht gegen ihn.

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