Der Schauspieler und Regisseur Tom Ryser glaubt nicht an die alttestamentarische Überlieferung vom gescheiterten Turmbau zu Babel: «Die Leute hätten sich trotz des Sprachenwirrwarrs verstanden. Doch die Geistlichkeit späterer Jahrhunderte wollte die Geschichte anders erzählt haben.» Ryser ist überzeugt, dass die Sprache kein Hindernis für eine elementare Verständigung ist. So beginnt sein Projekt «Outlander - Fremdgehen mit Kleist» im Foyer des Theaters Basel auf chinesisch. Andere Fremdsprachen werden dazukommen, doch das Publikum wird immer verstehen, worum es geht.
«Outlander...» ist eine Zusammenarbeit der Gruppe Gendertainment, zu der Ryser, die Dramaturgin Eva Watson und der Musiker Skelt! gehören, mit dem Circustheater Cîrqu'enflex und dem Theater Basel. Ausgangspunkt des Stücks ist Heinrich von Kleists Ritterdrama «Die Familie Schroffenstein». Die düstere Ballade von den beiden Zweigen der Sippe derer von Schroffenstein, die sich in blinder Wut gegenseitig ausrotten, wurde wegen ihrer offensichtlichen Nähe zur Trivialliteratur und ihrer gelegentlichen unfreiwilligen Komik lange als peinliche Jugendsünde eines Genies behandelt. Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich immer wieder Regieführende für das ungebärdige Stück interessiert, das exemplarisch die Mechanismen und die Absurdität von Hass und Vorurteil darstellt. Ryser sieht darin die Fremdenfeindlichkeit und ihre Folgen gespiegelt. Er hat daher viele Rollen mit jungen AusländerInnen der zweiten oder dritten Generation besetzt.
Der Begriff «Outlander» könnte, meint Ryser, zur Bezeichnung für diese Menschengruppe werden: Sie sind keine echten AusländerInnen, aber auch keine InländerInnen. Sie sind längst nicht mehr Müllmänner oder Putzfrauen, sondern nehmen zum Teil wichtige gesellschaftliche Positionen ein. «Sie können oft besser als wir mit der Sprache umgehen, weil diese für sie nie selbstverständlich gewesen ist. Ihr grosser Vorteil ist, dass sie in zwei Kulturen gleichzeitig leben, die sich gegenseitig bereichern und relativieren und einen ganz anderen Blick auf die Welt ermöglichen.»
Kleists Vorlage wurde stark gekürzt und in einen heutigen Kontext versetzt. Die Sprache ist jene von Kleists, doch wenn die Emotionen hochgehen, fallen die SpielerInnen in ihre jeweilige Muttersprache. Dann reden die Liebenden arabisch, der alte Rupert von Rossitz serbisch. Dabei entfalten die (Laien-)DarstellerInnen eine neue Intensität, werden zu anderen Menschen. Zusammen mit den ArtistInnen von Cîrqu'enflex, in der Choreografie von Bea Nichele Wiggli, mit der Musik von Skelt! und in Kostümen von Gabriele Kortmann gestalten sie eine rasante Verbindung von Tanztheater, Sprechgesang und Akrobatik. Dabei werden die anfangs vorhandenen Positionen von «Gut» und «Böse», «Einheimischen» und «Fremden» unwichtig: Letztlich sind alle Schroffensteins Mitglieder der gleichen Familie.
Die Basler Gruppe Gendertainment gastiert mit «Outlander» an aua-Festival. Tom Ryser und Skelt! machten aus Kleists «Die Familie Schroffenstein» einen multiethnischen Theatertanzakrobatikrap.
Von Heinrich von Kleist ist überliefert, dass er beim Vorlesen seiner Tragödie «Die Familie Schroffenstein» ins Lachen geriet, bis ihm die Tränen kamen.
«Fremdgehen mit Kleist» soll das gewesen sein? Warum denn? Das war eingehen auf das, was ein Text heute noch sagen kann. Das war Weiterführen des Theaters zurück an seine genuinen Wurzeln - Theater für Kopf, Leib und Seele.
Es wird getrampelt, durch die Luft geflogen, das Bühnengestänge erklettert,...
Seit drei Jahren arbeiten Tom Ryser, Skelt! und Eva Watson als Produktionsgemeinschaft zusammen, seit einem Jahr unter dem Namen «Gendertainment».
BASEL. «Gendertainment» als Name ist ein Wortspiel...
Es könnte einem das Herz abdrücken. Nicht der Geschichte wegen - die ist schon bei Kleist ziemlich verworren, und selbst die Kollegen auf der Grossen Bühne sind an dem ritterlichen Schauerdrama der «Familie Schroffenstein» vor knapp drei Jahren mehr als kläglich gescheitert.
Eines der «sprachlich schönsten deutschen Stücke über Missverständnisse», 'Familie Schroffenstein' von Heinrich von Kleist, bildet den Ausgangspunkt für ein neues Projekt am Theater Basel.