Expo.02 - Ausfahrt Aargau
Aargau ist, wenn Bagger lieben
Der Aargau wollte an der Expo die Klischees über den Kanton Lügen strafen. Und nutzte mit Erfolg genau diese Klischees.
Aargauerinnen und Aargauer brauchen dicke Haut. «Der schlimmste Kanton ist das», tönte ihnen am Samstagmorgen bereits vor halb sieben eine Stimme aus dem Radiolautsprecher entgegen. Niemand hatte in einer Umfrage von DRS 1 auf dem Basler Barfüsserplatz auch nur ein einziges gutes Wort für den Kanton übrig, der sich an diesem Tag aufmachte, sich auf der Arteplage Neuenburg der Schweiz zu präsentieren. «Konservativ», «Schlechtes Wetter», «Beton» waren noch die freundlichsten Attribute.
Aargau ist, wenn Bagger lieben
Der Aargau wollte an der Expo die Klischees über den Kanton Lügen strafen. Und nutzte mit Erfolg genau diese Klischees.
Aargauerinnen und Aargauer brauchen dicke Haut. «Der schlimmste Kanton ist das», tönte ihnen am Samstagmorgen bereits vor halb sieben eine Stimme aus dem Radiolautsprecher entgegen. Niemand hatte in einer Umfrage von DRS 1 auf dem Basler Barfüsserplatz auch nur ein einziges gutes Wort für den Kanton übrig, der sich an diesem Tag aufmachte, sich auf der Arteplage Neuenburg der Schweiz zu präsentieren. «Konservativ», «Schlechtes Wetter», «Beton» waren noch die freundlichsten Attribute.
«Ziemlich verrückt»
Die Klischees hängen den Aargauerinnen und Aargauern an wie Kletten, und sie bringen sie einfach nicht weg. Nicht mit positiven Botschaften wie «Ganz schön Aargau» als Gastkanton an der Olma, nicht mit dem Zeigen von Muskeln wie mit der Bahn-2000-Lok «Zugkraft Aargau», die seit Jahr und Tag Intercity-Züge durchs Land schleppt. Das Bild vom Autobahnkanton, vom Durchschnitts- und Durchfahrtskanton zum zentralen Thema machte erst «Ausfahrt Aargau», der Auftritt des Aargaus am Samstag in Neuenburg. «Ich glaube, es ist ziemlich verrückt, was wir da machen», hatte die Projektleiterin Katja Gentinetta bereits zum voraus gewarnt. Mit rund 700 Mitwirkenden und mit 150 Tonnen Material, mit Strassenabsperrungen und Baumaschinen fuhr der Aargau auf der Arteplage ein. Umleitungstafeln machten Besuchern aus dem Nachbarkanton im Osten gleich deutlich, was Sache ist: «Ausfahrt Aargau, Richtung Zürich gesperrt». Schüler- und Brauchtumsgruppen, Alphornbläser, Jodler, Reiter, Chöre, eine Brass Band: Was hier zu Lande jeweils zur Darstellung von kantonaler Identität herangezogen wird, war in Neuenburg alles präsent - aber eingebunden in ein achtstündiges szenisch-musikalisches Spektakel, das die Klischees über den Kanton aufnahm, auf den Kopf stellte und pfiffig neu zusammenmischte.
Zweitklässler am Infostand
Das Volkslied «Im Aargau sind zwöi Liebi» vom Jüngling, der in den Krieg zog und bei der Rückkehr seine Liebste in den Händen eines anderen findet, gab die Vorlage für eine «Choreografie des Alltags»: Bagger tanzten zur Musik des Wettinger Komponisten Christoph Baumann in den Hauptrollen als «Meitli» und «Büebli» Ballett, liebten und küssten. Schülergruppen richteten in einem Labyrinth von Absperrbalken und Verkehrsschildern unter Leitung der Polizei ein heilloses Stauchaos an. Und die aus Armeehelikoptern abgeseilte Spezialeinheit der Kantonspolizei versuchte vergebens, die Heirat des «Meitli» mit dem Nebenbuhler zu verhindern. Der pfiffigen Ideen nicht genug: Nicht Erwachsene gaben an den Informationsständen Auskunft, sondern vife Zweitklässler - «Wir sind aus Staufen, Ausfahrt Lenzburg» - und in VIP-Pedalos fuhren Politikerinnen und Politiker Leute aus dem Volk spazieren. Ob's Zufall ist, dass mit der Projektleitung Katja Gentinetta eine gebürtige Walliserin und mit dem Ursus-und-Nadeschkin-Hausregisseur Tom Ryser ein Basler den Aargauern auf die selbstironischen Sprünge halfen? Auf jeden Fall heimste «Ausfahrt Aargau» bei Nicht-Aargauern grossen Applaus ein: «Viel besser als das Eröffnungsspektakel mit dem Prometheus» lobte ein Zuschauer aus Biel, und seine Frau staunte: «So viel Fantasie, das ist wahnsinnig.» Keineswegs Durchschnitt, fand auch Martin Heller, der künstlerische Direktor der Expo.02. Der Aargauer Kantonstag sein eine «Mischung aus Aktion, Liebe zum Detail, Selbstironie, Stolz und der Lust am grossen Auftritt». Wenn alle Kantone sich «so offen, so inspiriert, so spielerisch» präsentierten wie der Aargau, sei er sicher, dass es auch bei einer nächsten und übernächsten Landesausstellung - falls denn überhaupt welche stattfänden - noch Kantonstage geben werde. Den Aargauer Offiziellen, die nach Neuenburg gereist waren, ging das Lob hinunter wie Honig.
Aargauer Identität
Kritische Stimmen gab's allenfalls aus dem Aargau selbst. Der freisinnige Grossrat Rudolf Hug aus Oberrohrdorf etwa fand, das Spektakel verlange vom Publikum viel, «wenn man die Gedanken dahinter nicht kennt». Und sein grüner Ratskollege Reto Miloni aus Mülligen meinte, der Aargauer Auftritt passe so gar nicht zu Expo.02, in der die Sponsoren der Ausstellungen nur diskret aufträten. «Aber wir, wir machen gross in Selbstdarstellung.» Aber vielleicht braucht der Aargau genau die spielerische, schräge Inszenierung der Klischees über sich selbst. Ein Aargau, an dem zentrifugale Kräfte zerren und wo die eigene Region im Bewusstsein der Bevölkerung einen weit höheren Stellenwert geniesst als der Kanton. Der Expo-Kantonstag, an dem neben den Mitwirkenden Tausende aus dem Aargau nach Neuenburg pilgerten, als identitätsstiftender Anlass mithin? Durchaus, meint Projektleiterin Katja Gentinetta: «Wir haben einen anderen Blick auf unsere Fähigkeiten und Stärken erhalten und die Gewissheit, dass man gemeinsam etwas Einmaliges zu Stande bringt. Ich glaube, dass dieses Projekt in unserem Kanton einiges bewegt hat.»